TUMJA Alumna Dr. Valerie Domcke
im Gespräch mit Niklas Dreymann und David Noachtar
Valerie Domcke ist seit kurzem Mitarbeiterin am CERN, dem Teilchenbeschleuniger von weltweiten spektakulärem Ruhm. Sie studierte von 2005 bis 2010 theoretische Physik an der Technischen Universität München und nahm während dieser Zeit an Erfahrene Wege in die Forschung teil, dem Vorgängerprogramm der TUM: Junge Akademie. Ihre Masterarbeit schrieb sie am Max-Planck-Institute für Physik in München und schloss diese mit Auszeichnung ab. Im Anschluss an ihren Master zog es sie in den hohen Norden, wo sie in Hamburg bei der DESY / Deutsche Elektronen-Synchotron ihre Promotion, ebenfalls mit Auszeichnung, absolvierte.
Dr. Domcke forscht an der Schnittstelle der Teilchenphysik und der Kosmologie. Sie hatte Gelegenheit zu mehrjährigen Aufenthalten als Gastwissenschaftlerin in Paris, Frankreich und in Triest, Italien. Seit 2018 ist Valerie Domcke Mitglied der renommierten „Die Junge Akademie“, die weltweit erste Akademie des wissenschaftlichen Netzwerkes aus dem deutschsprachigen Raumes. www.diejungeakademie.de
David Noachtar (geb. 2000) ist Stipendiat im aktuellen Jahrgang 2020 und arbeitet als Mitglied der studentischen Forschungsgruppe Exfluenced. Niklas Dreymann (geb. 1994) gehört dem Jahrgang 2019 an und leitet das Team MucTrail, welches einen digitalen Erlebnispfad zum Thema urbanes Klima im Olympiapark entwickelt hat.
David studiert seit Oktober 2018 im Bachelor Physik. Niklas hat kürzlich seinen Master in Management and Technology an der TUM School of Management erfolgreich abgeschlossen und wird im September eine Promotion an der Universität Göttingen beginnen.
Beide sind Mitglieder der Taskforce Marketing der TUM: Junge Akademie. Gemeinsam haben sie das Interview vorbereitet, durchgeführt und redaktionell überarbeitet.
Niklas
Wir freuen uns, dass du der Einladung gefolgt bist und dir Zeit für das Gespräch nimmst. Lass uns direkt einsteigen: Was begeistert dich und was treibt dich an in deinem Leben?
Dr. Valerie Domcke
Fangen wir mal mit der Physik an, was mich da so antreibt und motiviert. Da würde ich sagen, es sind die wirklich ganz großen offenen Fragen: Wo kommen wir her - wo gehen wir hin? Was ist der Ursprung des Universums? Was sind die fundamentalen Naturgesetze und Kräfte, die die Welt um uns herum beschreiben? Das sind wirklich die fundamentalen Fragen, auf die wir noch keine Antworten haben, bzw. sehr viele verschiedene Antworten haben, und nicht wissen, welche ist die richtige. Das ist die Motivation, die mich in meiner Forschung antreibt.
Niklas
Wir haben jetzt gerade in Corona-Zeiten gemerkt, dass es auch mit wesentlich weniger geht und wir in einer Gesellschaft des Überflusses leben. Was meinst du: was ist essentiell wichtig für dich, um glücklich zu sein?
Dr. Valerie Domcke
Ich denke, es ist die Beziehung zu anderen Menschen: Familie, Freunde, Partner - das steht bei mir im Mittelpunkt. Klar, wir leben in einer Gesellschaft, und es ist mir wichtig, etwas zu dieser Gesellschaft beizutragen.
Und weil du gerade Corona angesprochen hast, ich denke, dass eine ganz wichtige Lektion ist, dass wir gelernt haben ist, dass es mit viel weniger Reiserei auskommt, als wir es noch vor wenigen Monaten gedacht hatten. Vor ein paar Monaten hieß es noch, diese oder jene Konferenz kann unmöglich online stattfinden. Jetzt sehen wir, dass es doch sehr gut online geht, mit deutlich geringerem CO2 Ausstoß.
Niklas
Und wir treffen uns hier jetzt auch per Zoom.
Dr. Valerie Domcke
Ja, also das ist eine Lektion, die man mitnehmen kann. Dass Sachen jetzt gehen, von denen man meinte, dass sie nicht gehen würden. Und wir sehen, dass wenn man es einmal ausprobiert, dann geht vieles doch. Dann geht nicht alles, aber vieles doch.
Niklas
Eine weitere Frage noch: Wer war dein größtes Vorbild, auch aus deiner Kindheit heraus?
Dr. Valerie Domcke
Ich hatte eine Mathelehrerin, die fand ich klasse. Sie war relativ jung, aber vor allem sehr unkonventionell. Sie hat auch einfach mal, wenn die Tafel zu Ende war, auf der Wand daneben weitergezeichnet mit Kreide. Sie hat auch Fragen offen im Raum stehen lassen und uns aufgezeigt, dass nicht jede Antwort auf jede Frage schon bekannt ist. Und auch, dass man manchmal noch nicht weiß, was die richtige Antwort ist. Sie hat mich schon geprägt.
Niklas
Sie hat dich dann motiviert, für die Naturwissenschaften und für die Mathematik?
Dr. Valerie Domcke
Ja, ich denke schon. Sie hat so meine Neugier geweckt. Es ging weg von diesem „das steht jetzt im Mathebuch, das muss man jetzt lernen, und dann muss man das eben verinnerlichen und dann schreibt man dazu eine Prüfung.": Es gibt offene Fragen und es gibt nicht nur einen vorgeschriebenen Lösungsweg, sondern man muss herumprobieren, was geht oder was nicht geht.
David
Ich sehe hinter dir an der Tafel ein paar Formeln, die den meisten Menschen unbekannt vorkommen werden. Könntest du kurz deinen Forschungsbereich zusammenfassen und einen Arbeitstag beschreiben, so wie es aussieht mit und ohne Corona.
Dr. Valerie Domcke
Mein Forschungsgebiet ist die Schnittstelle zwischen Teilchenphysik und Kosmologie. Die Idee dahinter ist, dass das Universum, wie wir es heute kennen, expandiert. Beim Expandieren kühlt es sich ab. Das heißt, dass es zu sehr frühen Zeiten war die Temperatur im Universum bzw. die Energie, die Teilchen in dem Universum zur Verfügung stand, sehr viel höher als jetzt. Und damit ist quasi das frühere Universum eine Art Labor, wo wir die Eigenschaften von Physik testen können. Wir können Energien erreichen, die viel höher sind als die, die wir jemals auf der Erde mit einem Teilchenbeschleuniger erreichen können. Das ist komplementär zu den Experimenten, die wir auf der Erde machen, und das gibt uns ein Fenster, um Physik bei extrem hohen Energien zu testen. Wie das in der Praxis aussieht, ist, dass ich in der Regel im Team mit drei, vier Leuten starte von existierenden Modellen, oder von konkreten, offenen Fragegestellungen. Daraus entwerfen wir mögliche Erweiterungen des Standardmodels der Teilchenphysik, und berechnen die Vorhersagen und Konsequenzen für die Kosmologie, insbesondere ob man daraus irgendwelche beobachtbaren Sachen ableiten kann. Dann kann man untersuchen, ob man solche Sachen dann sieht oder nicht sieht. Auch wenn man es nicht sieht, kann man daraus dann Einschränkungen an bestimmte Parameter setzen.
David
Deine Motivation hast du schon angesprochen. Was war der Grund, Physik zu wählen gegenüber der Mathematik?
Dr. Valerie Domcke
Tatsächlich war der Grund, dass ich im Vorstudium ein Probestudium in der Mathematik gemacht hatte. Das hat mich damals nicht überzeugt. Das mag vielleicht Pech gewesen sein, das mag der Prof damals gewesen sein. Mir waren die offenen Fragen da zu weit weg und zu wenig greifbar.
David
Gibt es den EINEN Moment in deiner Karriere – vielleicht auch schon im Studium, durch den du gesagt hast, ich gehe in die Teilchenphysik und die Physik des frühen Universums?
Dr. Valerie Domcke
Ich glaube, dass war eher kontinuierlich. Schon in der Schule fand ich schwarze Löcher und dunkele Materie total spannend, weil es so unbekannt schien. So unbekannt und gleichzeitig aber so fundamental. Im Studium hat mir dann die Theoretische Physik viel Spaß gemacht, ich habe die entsprechenden Vorlesungen gehört und irgendwann mir dann entsprechend meine Masterarbeit ausgesucht. Dann habe ich realisiert, wow, du machst ja jetzt wirklich genau das, wovon du in der Schule geträumt hast. Es war eher so ein kontinuierlicher Prozess mit dann am Ende die Realisierung, wow, jetzt mache ich das ja wirklich.
David
Viele Physiker gehen nach dem Studium in die Industrie. Nur ein kleiner Teil geht bzw. bleibt in der Forschung. Was war für dich entscheidend, die Karriere in der Forschung anzustreben?
Dr. Valerie Domcke
Mir macht einfach die Arbeitsweise sehr viel Spaß. Ich genieße sehr, dass es sehr, sehr flexibel ist. Man hat ja de facto relativ früh keinen Chef, sondern man muss sich schon die Fragen sich überlegen, die Antworten darauf finden, und man kann sehr frei aussuchen, mit wem man zusammenarbeitet, auch an was man arbeitet, wann man arbeitet. Mir macht auch die Lehre Spaß, wie auch Vorträge zu halten, Wissen weiterzugeben. Insofern habe ich mich von Anfang an in der Forschung sehr sehr wohl gefühlt.
Klar habe ich mich auch nach Alternativen umgeguckt. Es ist auch immer gut, einen Plan B zu haben. Auch wenn man eine Karriere in der Forschung anstrebt, heißt das ja leider nicht, dass es funktionieren muss. Aber ich habe gesagt, so lange mir das in der Forschung so viel Spaß macht und ich da genau das machen kann, was ich machen möchte, dann genieße ich das.
David
Du hast es ja schon angesprochen, dass es auf deinem Forschungsgebiet noch viele große, offene Fragen gibt. Was wäre für dich das Ziel deiner Arbeit, auf lange Sicht betrachtet?
Dr. Valerie Domcke
Da kann man in zwei Richtungen denken. Einerseits wäre es sehr schön, und ich denke auch wirklich machbar, wenn man überhaupt mal ein theoretisches Modell hinschreibt, was in allen Facetten selbstkonsistent ist. Das ist nämlich gar nicht so einfach. Und dann natürlich, was richtig super wäre, wenn es dann auch noch stimmen würden und man es dann auch noch testen könnte. Es ist leider so, dass man solche Modelle oft nur sehr schwierig testen kann, oder dass man nur einen Teil des Parameterraums testen kann. Da muss man halt dann dann schon richtig Glück haben. Man kann dann schon das richtige Model hinschreiben, die Natur kann ein bisschen gemein sein und die Parameter so wählen, dass es fast unmöglich wird, das nachzuweisen.
Ein anderes großes Thema, dass jetzt in den nächsten Jahren kommen wird, sind kosmologische Beobachtungen mit Gravitationswellen. Das ist quasi ein separates Fenster in das frühe Universum, jetzt halt nicht mit Licht, sondern mit Gravitationswellen als Teilchen, die uns Informationen aus dem frühem Universum übermitteln. Da wird auf jeden Fall spannende Physik rauskommen, und ich bin da einfach schon sehr gespannt. Ich bin mir noch nicht sicher, was wir da lernen werden, aber ich bin mir sicher, dass wir etwas lernen werden.
David
Jetzt würde ich noch den Bogen zur TUM: Junge Akademie schließen. Der diesjährige Call lautet „Disruption & Reconstruction - Opportunities for global collaboration". Wie der Name schon sagt, steht es unter dem Motto der internationalen Zusammenarbeit und welche Möglichkeiten man darin eröffnen kann. Du arbeitest am CERN, viel internationaler geht es ja fast schon nicht mehr. Wie wirkt sich diese internationale Atmosphäre auf deine Arbeit aus?
Dr. Valerie Domcke
Das ist wirklich sehr international. Ich rede jeden Tag mit Leuten von so viel verschiedenen Ländern, nicht nur am CERN, sondern auch an den Institutionen, wo ich davor war. Man weiß gar nicht, wo die Leute genau herkommen, man registriert das dann gar nicht mehr. Das ist nur eine große internationale Gemeinschaft und ich glaube, das trägt auch schon viel zu wissenschaftlichem Erfolg bei. Die Leute haben vielleicht ein anderes Training, je nachdem woher sie herkommen. In den verschiedenen Ländern wird Wert auf verschiedene Sachen gelegt. Ich finde das sehr wichtig, dass man gemischte Gruppen hat an Wissenschaftlern hat, die dann jeweils eine andere Herangehensweise haben – einfach, weil sie eine andere Persönlichkeit haben – oder auch einfach, weil sie eine andere Ausbildung haben. Ich glaube, das macht es dann überhaupt erst möglich, diese großen Fragestellungen anzugehen. Klar, und beim CERN arbeiten 10.000 Leute, so ein Projekt dieser Größe lässt sich nur international stemmen.
Als Postdoc habe ich für mehrere Jahre in Italien (Triest) und Frankreich (Paris) gelebt, ich sehe das als Gelegenheit in eine andere Kultur einzutauchen, eine neue Sprache zu lernen. So den eigenen Tellerrand zu überschreiten hilft auch wenn man dann mit Leuten aus aller Welt zusammen arbeitet.
Niklas
Dann kommen wir zum Schluss noch einmal an die TUM und an der TUM: Junge Akademie bzw. seinem Vorgängerprogramm. Woran denkst du am liebsten zurück, wenn du an diese Zeit denkst.
Dr. Valerie Domcke
Nicht an die Mensa (lacht). Also tatsächlich, meine besten Erinnerungen sind wie wir in kleinen Arbeitsgruppen bis spätabends an irgendwelchen Arbeitsblättern die Zähne ausgebissen haben. Das klingt jetzt zwar ein bisschen komisch, dass das eine gute Erinnerung ist. Aber es war Teamwork und ich habe Freunde gefunden, die ich bis heute noch habe. Es ist wahrscheinlich auch deshalb eine gute Erinnerung, weil man am Ende auch die Probleme gelöst kriegt. Weil man damit auch lernt, wie man mit Problemen umgeht, die erstmal so schwierig aussehen, dass man nicht weiß, wo man anfangen soll. Wenn man dann mit den richtigen Leuten daran sitzt, dann kriegt man das auch hin. Die TUM: Junge Akademie hieß ja damals noch Erfahrene Wege in die Forschung, ich war da Mitglied und auch in der Studienstiftung und in dem Bayerischen Ableger der Studienstiftung, dem Max-Weber-Programm.
Was mir da in Erinnerung geblieben ist, war mit motivierten jungen Leuten in Verbindung zu kommen, aus verschiedenen Fachbereichen, einfach mal über den eigenen Tellerrand zu blicken und ganz interessante Diskussionen zu erleben. Wir waren im Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrum, das hat mich natürlich begeistert, weil ich Sterne so toll fand. Oder auch Besuche bei Unternehmen; wir waren da bei einer Firma, die Maschinen baut, die Geldscheine sortiert hat. Das alles in einem Wahnsinnstempo und dabei auch eben Falschgeld erkannt und 20 verschiedene Tests pro Geldschein durchgeführt hat. Das war komplett außerhalb von dem, was mich im Studium interessiert hat, aber ich fand das einfach sehr spannend, ganz andere Sachen zu sehen.
David
Du bist als Post-Doc einer weiteren „Die Junge Akademie“ beigetreten, oder wurdest du dazu eingeladen? Für was steht die „Junge Akademie“ und welche Möglichkeiten werden bzw. wurden dir dort geboten?
Dr. Valerie Domcke
Als Nachwuchswissenschaftlerin, bzw. junior faculty, am DESY wurde ich für Die Junge Akademie nominiert. Die Junge Akademie nimmt jedes Jahr zehn neue Mitglieder auf. Diese kommen aus allen Fachrichtungen oder sind KünstlerInnen und bleiben dann für jeweils fünf Jahre Mitglied. Die Aufnahme erfolgt alternierend über eine Selbstbewerbung oder über ein Vorschlagsrecht der beiden Elternakademien, der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina. Für meinen Jahrgang war letzteres der Fall.
Als Junge Akademie nehmen wir Stellung zu wissenschaftspolitischen Themen aus der Sicht von Nachwuchswissenschaftlern, und haben ein Budget für interdisziplinäre Projekte, die von mehreren Mitgliedern gemeinsam vorangetrieben werden. Ich bin zum Beispiel in der Arbeitsgruppe "Nachhaltigkeit" aktiv. Da schreiben wir gerade ein Positionspapier mit Vorschlägen für einen nachhaltigeren Wissenschaftsbetrieb. Ich profitiere sehr von den Diskussionen mit Kollegen aus ganz anderen Fachbereichen, die oft einen komplett anderen Blickwinkel auf eine Diskussion haben.
Niklas
Letzte Frage – unser Programm wird dieses Jahr 10 Jahre alt. Was wünschst du uns für die Zukunft?
Dr. Valerie Domcke
Alles Gute natürlich. Dass es weiterhin eine Möglichkeit ist, junge Menschen zu fördern und fordern, und dass man den Blick über den Tellerrand weiterhin weiten kann.
David
Wir danken dir für die Einblicke, und wer weiss, vielleicht sehen wir uns bald am CERN.