TUMJA Alumnus Prof. Dr. Florian Zuleger
im Gespräch mit Vanessa Buchweitz und Frederik Heetmeyer
Prof. Florian Zuleger studierte an der TU München Mathematik und Informatik und promovierte anschließend im Programm TopMath unter Betreuung von Helmut Veith sowie an der TU Wien im Bereich der Programmanalyse und formalen Verifikation.
Seit dem erfolgreichen Durchlaufen des Tenure Tracks ist er als Associate Professor tätig und beschäftigt sich somit beruflich intensiv mit Forschung und Lehre. Seit bereits 10 Jahren ist er in der Forschung aktiv und publiziert in seinem Fachbereich. Prof. Zuleger absolvierte während seines Studiums das Programm „Erfahrene Wege in die Forschung“, den Vorläufer der TUM: Junge Akademie. Er wurde außerdem durch das Max Weber-Programm und ein PhD-Stipendium von Microsoft gefördert.
Wir freuen uns sehr, Florian Zuleger bei einem Aufenthalt in München zu seinem Werdegang, seiner Motivation und seinen Erfahrungen im Stipendiatenprogramm der TUM für talentierte Nachwuchsforscher*innen befragen zu können.
Vanessa Buchweitz (geb.1993) ist Stipendiatin des Jahrgangs 2016 und gehörte dem Team Health Today an. Frederik Heetmeyer (geb. 1998) war im Jahrgang 2017/II im Team Team Schaschleak dabei.
Vanessa studierte am Campus Weihenstephan den Studiengang Biotechnologie der Lebensmittel im Bachelor und im Master. Ihren Abschluss erzielte sie in 2019. Frederik studiert an der Munich School of Engingeering den Studiengang Ingenieurwissenschaften.
Beide sind Mitglieder der Taskforce Marketing der TUM: Junge Akademie. Gemeinsam haben sie das Interview vorbereitet, durchgeführt und redaktionell überarbeitet.
Frederik: Eine Frage zum Einstieg: Was treibt dich an? Was begeistert dich in deiner Arbeit, in allem was du tust?
Prof. Zuleger: Ich habe Mathematik und Informatik im Doppelstudium gemacht. Die ersten zwei, drei Jahre deswegen, weil ich mich nicht komplett entscheiden konnte, was mir besser gefällt. Im Endeffekt hat mich die Schnittstelle interessiert, zwischen Mathematik und Informatik. Und dort bin ich seitdem hängengeblieben. Was mich an der Mathematik interessiert hat und was immer noch der Hauptgrund ist, weshalb ich an der Uni bin, ist, dass es mir Spaß macht so schwierige Probleme zu lösen. Schwierige Probleme kann man sich wie Knobelaufgaben vorstellen, für die man eine Zeit lang braucht, bis man sie löst. Das kann eben einen Monat dauern, mehrere Monate oder auch Jahre, bis man eine gute Lösung gefunden hat. Und ich finde genau das ist es, das die Tätigkeit eines Mathematikers beschreibt. Die Schnittstelle zur Informatik liegt darin, dass man dann die Probleme automatisch löst. Das geschieht, indem man einen passenden Algorithmus findet.
Frederik: Und das treibt dich an? Du findest spannend, solche Probleme zu lösen?
Prof. Zuleger: Genau! Das ist auch der Teil an meinem Job, der mir am besten gefällt: Dass ich so etwas machen kann.
Frederik: Du hattest ja früher bei Mathematik-Olympiaden mitgemacht. War das damals der Ursprung deiner Begeisterung?
Prof. Zuleger: Der war eigentlich schon viel früher, schon vor der Schule. Ich habe irgendwann mal zuhause diese Rätsel aus Holz entdeckt, die man mit Nägeln wieder zusammenbauen kann. Und es hat mir Spaß gemacht einfach so lange daran rum zu probieren, bis ich verstanden hatte, wie man das auseinandernimmt. Und das ist eigentlich dieselbe Tätigkeit.
Frederik: Du bist ja jetzt schon einige Zeit hinterm Studium, hast viel gelernt und auch in deinem Doktorandenstudium noch viel an solchen Problemen weitergearbeitet. Was würdest du sagen, welche Fähigkeiten haben dir da am meisten geholfen oder was ist das wichtigste, was du da gelernt hast, was dir später noch erhalten geblieben ist?
Prof. Zuleger: Ja, also einmal braucht man eine gewisse Hartnäckigkeit um Probleme zu lösen. Ein Beispiel, wo ich in der Mathematik lange bis zum Verständnis gebraucht habe, ist, dass man nicht nur das Skript lesen und nachvollziehen muss, sondern dass man sich selbst ein gedankliches Modell erarbeitet, indem man die Übungsaufgaben löst. Also, dass man am Ende in der Lage ist, die Theorie selbst zu reproduzieren. Das war auf jeden Fall ein Lernprozess. Mittlerweile ist in der Wissenschaft auch interessant, dass man lernt seine Arbeit darzustellen, zu präsentieren und zu networken. Im Studium war es eher so ein einsames Enterprise, also dass man sich hinsetzen musste um es zu verstehen. Es gibt da eine sehr große soziale Komponente, die auch wichtig für den Erfolg in der Wissenschaft ist.
Frederik: In deiner Erfahrung, wo geschieht das wertvollste Networking?
Prof. Zuleger: Bei mir heißt das, auf Konferenzen zu sein, wo man die Community trifft. Denn die anderen Experten ja weltweit an anderen Unis verstreut. Das heißt, die eigentlichen Kollegen trifft man nur ein paar Mal pro Jahr.
Vanessa: Um zu deiner Persönlichkeit näher zu sprechen zu kommen: Niemand ist ja perfekt. Hast du eine Schwäche, von welcher du uns erzählen möchtest und auch, wie du mit ihr umgehst?
Prof. Zuleger: Ja, der Perfektionismus ist gut und schlecht. Er hilft, die Dinge auf ein hohes Qualitätsmaß zu hieven. Dies ist für eine gute Veröffentlichung wichtig. Andererseits muss man sich zu einem bestimmten Zeitpunkt klarmachen, dass eine Arbeit auch fertig werden muss.
Vanessa: Was hast du denn für Interessen neben deinem Beruf. Wo kannst du mal abschalten?
Prof. Zuleger: Sport und das Reisen sind für den Ausgleich wichtig. Reisen fügt sich auch sehr schön mit Konferenzbesuchen. Denn die Konferenzen sind bereits weltweit und man kann leicht ein paar Tage dranhängen.
Frederik: Hast du da ein schönes Beispiel?
Prof. Zuleger: Ja, letztes Jahr war ich in Äthiopien und das war auf jeden Fall sehr spannend.
Vanessa: Das heißt, man kommt viel rum?
Prof. Zuleger: Ja, die meisten Konferenzen sind natürlich in Industriestaaten, aber hin und wieder gibt es auch ein paar exotischere Orte, und das war einer davon.
Frederik: Cool! In deinen Augen, was glaubst du, was braucht es mehr in deiner Welt, so wie du sie siehst?
Prof. Zuleger: Das ist eine interessante Frage. Eine einfache Sache, die mich aber immer freut, ist es, wenn Leute ihren Job ernst nehmen und gut machen. Das ist schon mal nicht selbstverständlich, und deswegen freut es mich immer, wenn das der Fall ist.
Frederik: Lass uns auf deinen Karriereweg zu sprechen kommen, denn das ist für die jetzigen Stipendiaten interessant: Zu sehen, was die Alumni gemacht haben und wie die TUM: Junge Akademie sie in ihrem Weg geprägt hat. Wie kam deine fachliche Vertiefung zustande?
Prof. Zuleger: Also, ich war an der TUM im TopMath-Studienprogramm. Das war eigentlich ein Mathematik-PhD-Programm, aber mein Betreuer war aus der theoretischen Informatik und er zog während der Promotion um. Also machte ich am Ende einen Abschluss in Informatik, obwohl ich erstmal in einem Mathe-Programm angefangen habe.
Frederik: Interessant. Als du dich nach dem Diplom vor dem PhD befandst, gab es andere Optionen für dich, als die Wissenschaft weiter zu verfolgen?
Prof. Zuleger: Dadurch, dass ich im TopMath-Studiengang war, ging es direkt nach dem Bachelor mit dem Doktorat los. Den Master hat man damals noch so „en passant“ gemacht, also während des Programms.
Vanessa: Also so, wie das in England meistens der Fall ist?
Prof. Zuleger: Genau. Das heißt, ich habe eigentlich nach dem Bachelor angefangen, den PhD zu machen.
Frederik: Warum hast du dich nach der Promotion dafür entschieden, die Wissenschaft weiter zu verfolgen? Gab es noch andere Optionen für dich?
Prof. Zuleger: Mein Grund war, dass ich immer noch mehr lernen wollte, und dass mich das Ganze noch weiter interessierte. So bin ich dabei geblieben. Das war keine super-bewusste Entscheidung, sondern mehr nach dem Motto: „Wir schau’n mal wie’s weiterläuft“.
Frederik: Der Weg in der Wissenschaft kann schwierig sein, vor allem, wenn die gewünschten Ergebnisse nicht immer sofort zustande kommen, man in der Arbeit festhängt und sich eigentlich nur selbst weiterhelfen kann. Was würdest du jenen anraten, die nach dem Master in die Wissenschaft gehen möchten, sprich eine Promotion anstreben und vielleicht auch darüber hinaus gehen möchten?
Prof. Zuleger: Das sind auf jeden Fall mehrere Faktoren. Erstmal extrem wichtig ist der Supervisor, also der Betreuer. Man sollte jemanden finden, der einen guten Ruf hat, der viel veröffentlicht und ein gutes Netzwerk hat. Der Betreuer ist wirklich sehr wichtig, da er Leute kennt, Kontakte vermitteln kann und auch die Sichtbarkeit der Arbeit erhöht. Also ist es wichtig, sich da schlau zu machen. Mein zweiter Tipp ist, herauszufinden, ob das Ganze wirklich das Richtige für einen ist. Man sollte also schon während des Studiums schauen, dass man in verschiede Gruppen hineinschnuppert und auch versucht, ein bisschen mitzuarbeiten. Zum Beispiel kann man sich als hilfswissenschaftliche Kraft schon an der Forschung beteiligen.
Frederik: Wie hast du selbst deinen Betreuer, deinen Doktorvater, gefunden? War das über TopMath?
Prof. Zuleger: In der Tat lief es über mein Studienprogramm. Mir war das zwar zu diesem Zeitpunkt nicht klar, aber es hat sich glücklicherweise als eine gute Wahl herausgestellt.
Frederik: Was würdest du jenen, die jetzt vielleicht noch kein Netzwerk haben, für die Suche nach einem geeigneten Betreuer raten? Die Junge Akademie ist zum Beispiel solch ein Netzwerk. Aber wenn jetzt beispielsweise fachlich nicht der Professor dabei ist, den sich jemand wünschen würde, welche Tipps würdest du ihm/ihr geben, um eine passende Betreuung zu finden?
Prof. Zuleger: Man kann sich auf den Homepages erkundigen, was die Leute so machen. Außerdem kann man direkt hingehen, um mit den Leuten zu sprechen. Zum einen direkt mit dem Professor, zum anderen aber auch mit den Doktoranden in der Arbeitsgruppe. Das sollte normalerweise schon angeboten werden, da ja jede Arbeitsgruppe ihren eigenen Gruppengeist hat und es ja auch wichtig ist, dass das soziale Umfeld zu einem passt.
Vanessa: Während des Studiums hast du Sommerakademien besucht. Hast du besondere Anekdoten oder Erfahrungen mitgenommen, die du gerade dort gemacht hast?
Prof. Zuleger: Während des Studiums habe ich nicht die Sommerakademien der TUM oder des Max Weber-Programms, sondern Sprachkurse besucht. Ich war zweimal für einen Monat in Spanien. Es war sehr schön und hat sehr viel Spaß gemacht. Zum einen, weil man Leute aus ganz verschiedenen Studienfächern kennenlernt, und zum anderen, weil das Ambiente sehr nett war. Die Sprachkurse waren von sehr hoher Qualität. Dadurch, dass die anderen Leute sehr motiviert waren, konnte man viel lernen. Während des Doktorats habe ich dann mehrere Sommerschulen besucht, die sind fachlich viel spezifischer, aber auch sehr gut gewesen. Da gibt es zum Beispiel die Informatik-Sommerschule in Marktoberdorf, die von der TU München organisiert wird.
Frederik: Hast du dort auch fachlich neue Impulse bekommen, oder war es mehr auf persönlicher Ebene interessant?
Prof. Zuleger: Beides. Die Sommerschulen werden zu verschiedenen Themen ausgetragen und es ist einfach hilfreich, so das Basiswissen zu erhöhen. Für später hilft es überdies, das eigene Netzwerk auszubauen. Man trifft sehr gute Doktoranden, die dann teilweise später in der Wissenschaft landen und dann hat man diese Kontakte.
Vanessa: Also ist es empfehlenswert, wenn man zum Beispiel eine Doktorarbeit schreiben möchte, dass man versucht, in diese Sommerschulen reinzukommen?
Prof. Zuleger: Auf jeden Fall! Es ist auch sehr motivierend, weil man, wie ich vorher schon sagte, gerade als Doktorand erstmal viel alleine arbeitet, da es wichtig ist, eine eigene Forschungsleistung zu haben. Auf der Sommerschule sieht man dann, was andere Leute machen und woran sie arbeiten. Das ist auch wichtig für die Motivation.
Frederik: Du hast auch Erfahrung in der Lehre, hast ein paar Kurse betreut. Was würdest du persönlich an der Universitätslehre ändern, wenn du könntest?
Prof. Zuleger: Die Frage hat mich zum schmunzeln gebracht, weil ich eigentlich nichts ändern würde. Mir gefällt die Lehre eigentlich so. Ich bin ein Anhänger der klassischen Vorlesung und meiner Meinung nach muss man da nicht viel ändern. Was mich eher stört, ist die Verschulung, die Einzug gehalten hat, insbesondere durch die Bologna-Reform. Was mich genauso stört, ist Präsenz-Pflicht, also, dass die Studenten gezwungen werden, anwesend zu sein. Meiner Meinung nach sind die Leute alt genug, also volljährig, und können für sich selbst entscheiden, was sie hören wollen und was nicht. Sie sind dafür selbst verantwortlich. Ich hatte noch das letzte Diplom-Studium in München in Informatik begonnen, ich war der letzte Jahrgang. Und das bedeutete, dass man im Grundstudium die Kurse relativ fixiert hatte, aber im Hauptstudium extrem frei war zu hören, was man wollte. Man hatte drei Jahre für das Hauptstudium und wenn man gewollt hätte, hätte man alle Pflicht-Vorlesungen innerhalb eines Jahres hören können. Das heißt also, dann hätte man zwei Jahre, um zu hören was man will, und so sollte das meiner Meinung nach auch sein.
Vanessa: Das heißt als Verbesserungsvorschlag: Zurück zum Diplom?
Prof. Zuleger: Ja (schmunzelnd)
Vanessa: Man sieht ja gerade bei vielen angewandten Studiengängen, wie auch in den nordischen Ländern, dass viel Gruppenarbeit stattfindet. Das ist derzeit bei vielen Studiengängen an der TUM nicht der Fall, wäre das ein Verbesserungsvorschlag von deiner Seite?
Prof. Zuleger: Von mir aus eben nicht. Also es kann sein, dass es in manchen Disziplinen anders ist, aber in der Mathematik ist es auf jeden Fall notwendig, dass man sich selbst damit beschäftigt. In der Informatik auch, zum großen Teil. Das einzige, wo die Gruppenarbeit in Informatik sinnvoll ist, ist um wirklich mal zu simulieren wie man ein größeres Software-Entwicklungsprojekt strukturieren muss. Da sehe ich das ein. Die andere Frage, aus der pädagogischen Sicht, ist, ob Lerngruppen den Leuten helfen. Aber normalerweise organisieren die Leute das dann selbst. Also sehe ich nicht ein, warum ich mich da auch noch drum kümmern müsste.
Frederik: Wie hast du die Motivationsstruktur der Studierenden in der Zeit wahrgenommen, als es das Diplom gab, im Vergleich zum heutigen System, in dem du ja selbst schon gelehrt hast? Hast du Unterschiede feststellen können?
Prof. Zuleger: Dadurch, dass ich darauf nicht geachtet habe, als ich selbst studiert habe, kann ich es schwer vergleichen.
Vanessa: Vielleicht vom Stresslevel her, oder wie die Studierenden mit dieser Regelstudienzeit umgehen, konntest du da vielleicht sehen, dass die Studierenden gestresster sind? Da kann ich auch von mir persönlich sprechen, denn das Bologna-System schafft oft einen hohen Stress-Level.
Prof. Zuleger: Ich kann auch da nichts Definitives zu sagen.
Frederik: Hast du einen Helden oder eine Heldin in der Wissenschaft?
Prof. Zuleger: Also nicht konkret, aber es gibt schon Wissenschaftler, die mich beeindruckt haben. Einmal, weil sie quasi ein neues Feld definiert haben und ein Feld wirklich vorangebracht haben. Andere Wissenschaftler, weil sie sich so gut auskennen, und man merkt, dass sie einen extremen Überblick haben. Das ist eine Tiefe, für die man Jahre oder Jahrzehnte lang in einem Gebiet arbeiten muss.
Frederik: Hast du da ein Beispiel, das dir jetzt so spontan einfallen würde?
Prof. Zuleger: Also im Bereich der Logik, einem Gebiet in dem ich sehr viel arbeite, gibt es momentan den Moshe Vardi, der sehr aktiv ist.
Frederik: Dann würden wir jetzt zur TUM: Junge Akademie beziehungsweise „Erfahrene Wege in die Forschung“ übergehen. Was für Kompetenzen hast du in dem Programm damals erworben, beziehungswelche welche Erfahrungen hast du gemacht, die dir später wertvoll waren?
Prof. Zuleger: Wir hatten vor allem zwei Aktivitäten, an denen ich teilgenommen habe. Einmal waren das die Ausflüge zu Firmen. Wir haben zum Beispiel Wacker in Burghausen besucht oder einmal ein großes Event von E.ON, das für „Erfahrene Wege in die Forschung“ in der Pinakothek der Moderne organisiert wurde. Dort hat auch ein Vorstandsmitglied einen Vortrag gehalten. Genauso hatte sich bei Wacker in Burghausen jemand vom Vorstand Zeit für uns genommen. Mit jenem bin ich danach zufällig beim Abendessen am Tisch gelandet. Es ist schon spannend, Zugang zu diesen Leuten zu bekommen und von ihnen hört, wie sie ihren Job oder ihren Werdegang sehen. Das war spannend. Ich bin nicht in der Privatwirtschaft gelandet, aber es hilft schon, diesen Überblick zu bekommen. Das hat mir schon sehr gut gefallen. Die zweite Art von Aktivitäten, die es zu meiner Zeit gab, waren Vorträge von Betreuern, also emeritierten Professoren. Im Fall Mathematik haben sie Probleme geschildert, die sie interessiert haben. Ein Problem, an das ich mich noch erinnern kann, ist beispielsweise: Wenn ich von einem Punkt A nach B fliegen möchte, und es ist nur ein kurzer Flug und die Punkte befinden sich in etwa in Äquator-Nähe, dann befindet sich die kürzeste Fluglinie in etwa entlang des Äquators. Aber wenn die beiden Punkte weit auseinanderliegen, also fast auf der anderen Seite der Erdkugel, dann ist es irgendwann kürzer, über den Nordpol zu fliegen. Der Professor hat genau berechnet, wann dies der Fall ist. So etwas war eine kleine Aufgabe, die wir damals besprochen hatten. Es war vor allem interessant, die Begeisterung zu sehen, mit der diese Leute fachliche Probleme lösen wollen.
Frederik: Würdest du empfehlen, dass diese Formate, also Firmenbesuche und Vorträge von emeritierten Professoren, verstärkt oder weitergeführt werden?
Prof. Zuleger: Ja, das hat mir beides sehr gut gefallen. Das war positiv. Gerade Wacker hat sich da sehr ins Zeug gelegt. Das war zuerst eine Führung auf dem Werksgelände und nachher haben die eben Abendessen mit Catering in der Burg organisiert. Und wir sind mit dem Bus von München nach Burghausen und wieder zurückgefahren.
Frederik: Interessant. Das nehmen wir auf jeden Fall als Anreiz.
Vanessa: Was konntest du persönlich für dich selbst aus dem Programm mitnehmen?
Prof. Zuleger: Die beiden Dinge, die ich gerade beschrieben habe, waren interessant. Es war schön mitzunehmen und es waren nette Kontakte. Was ich an diesem ganzen Programm interessant finde, ist es, auch Leute aus anderen Studienfächern kennenzulernen. Denn die meisten Leute, die ich sonst kennengelernt habe, waren auch aus dem Mathematik- oder Informatik-Studium. Und so bekommt man eine Menge ganz anderer Kontakte.
Vanessa: Also ist gerade die Interdisziplinarität ein großer Vorteil dieses Programms?
Prof. Zuleger: Ja, aber es war eher auf persönlicher Ebene eine Bereicherung, da wir damals keine Projektarbeit hatten und es keine interdisziplinären Projekte gab.
Frederik: Hält dieser Kontakt bis jetzt an oder wie ist es mittlerweile?
Prof. Zuleger: Das hat eine Zeit lang gehalten, aber dadurch, dass ich schon seit zehn Jahren nicht mehr in München wohne, sind die Kontakte ein bisschen weniger geworden.
Frederik: Aber für damals war es auf jeden Fall bereichernd?
Prof. Zuleger: Ja.
Frederik: Hast du dich später an der TUM: Junge Akademie nochmals als Tutor eingebracht oder war das aufgrund der Tatsache, dass du nach Wien gegangen bist, nicht mehr möglich?
Prof. Zuleger: Das hat sich in der Tat dadurch nicht ergeben, weil ich eben schon zu lange weg bin. Und weil es derzeit noch eine Karrierephase ist, in der ich sehr viel zu tun habe. Also wenn ich extra noch anreisen müsste um ein Projekt zu betreuen, ist es schwierig.
Frederik: Ja, das stimmt. Für die jetzigen Stipendiaten und die, die noch kommen werden: Was würdest du ihnen auf denen Weg geben, was würdest du ihnen raten?
Prof. Zuleger: Man hat während des Studiums noch sehr viel Zeit und die Zeit wird immer weniger. Das heißt, man sollte die Zeit nutzen, um möglichst viele Dinge auszuprobieren. Ich glaube, es muss jeder für sich entscheiden, was das genau ist. Aber man muss erstmal herausfinden, was die eigenen Interessen sind und welche Betätigungsfelder am meisten Spaß machen.
Frederik: Also das heißt, sich Zeit für Experimente nehmen?
Prof. Zuleger: Ja.
Frederik: Wir haben noch eine Add-on-Frage. Hättest du gerne eine Superkraft? Wenn ja, welche wäre das?
Prof. Zuleger: Ich kann mit der Frage leider nicht so viel anfangen, ich bin da zu sehr Realist.
Frederik: Dann lass uns die Frage auf eine realistische Perspektive umformulieren. Wo merkst du, dass du, in dem was du tust, an deine Grenzen stößt und wo hättest du gerne mehr Kapazitäten?
Prof. Zuleger: Der Punkt ist Zeit. Ich hätte gerne mehr Zeit!
Frederik: Dann ist das die Superkraft! (lacht)
Vanessa: Zeitumkehrer (lacht)
Prof. Zuleger: Genau (lacht)
Frederik: Was ich zum Schluss noch recht spannend fände, ist zu erfahren, was du dir für deine eigene Zukunft überlegt hast. Du verfolgst jetzt einen wissenschaftlichen Weg. So wie es derzeit aussieht, zumindest extern betrachtet, wirst du eine Professur anstreben. Kann man das so sagen?
Prof. Zuleger: Ich bin ja schon Professor, also Associate Professor. Aber eine Karrierestufe gibt es noch, und das ist die zum Full Professor. Im Moment würde ich das probieren.
Frederik: Gibt es andere Forschungsbereiche, die du später verfolgen möchtest, die nochmals außerhalb dessen sind, was du derzeit machst?
Prof. Zuleger: Die Wissenschaft ist natürlich sehr trendabhängig, also die Forschungsförderung. Und alle paar Jahre gibt es da so ein neues, heißes Thema und jedes Mal werde ich vor die Frage gestellt, ob ich auf diesen Zug aufspringen möchte oder nicht, weil es immer viel Zeit kostet, sich in ein neues Thema einzuarbeiten. Die Themen sind immer ein paar Jahre „in“ und dann sind sie wieder „out“. Das heißt, man muss entscheiden, auf welcher Welle man surfen möchte und auf welcher nicht. Im Moment sind zwei der heißesten Themen Blockchains/Cryptocurrencies und Artificial Intelligence, was eigentlich Machine Learning bedeutet. Zum Beispiel habe ich im Moment entschieden, Machine Learning erstmal zu ignorieren, mich aber etwas mehr mit Cryptocurrencies und vor allem der Blockchain-Technologie beschäftigen.
Frederik: Kannst du da auch noch konkreter werden? Welchen Blickwinkel hast du persönlich auf dieses Thema?
Prof. Zuleger: Das ist dann im Bezug zu meinem Forschungsbereich, in dem ich arbeite. Dieser nennt sich „Formale Methoden“. Das Ziel ist in etwa, zu verifizieren, dass das Programm das macht, was es tun soll. Das heißt, wir möchten sicher sein, dass das Programm das tut, was es tun soll. Und dafür wollen wir einen mathematischen Beweis führen, dass es korrekt ist. Die Idee ist also, dass formale Verifikation vollständiger ist als zu testen, da man beim Testen immer nur bestimmte Fälle ausprobiert und es immer leicht ist, welche zu übersehen. Mit einem mathematischen Beweis können wir sicherstellen, dass wir keinen Fall übersehen haben. Nichtsdestotrotz ist natürlich der Beweis nur so gut wie die Spezifikation, die man sich vorher überlegt hat. Es ist also immer noch möglich, Dinge zu übersehen. Für diese Art von Beweisen braucht man sehr viel Aufwand. Und das lohnt sich nicht immer. Es ist nicht für eine App auf dem Handy lohnenswert, die mal abstürzt und man sie einfach neu startet. Das ist eher unproblematisch. Aber wenn es wirklich wichtig ist, zum Beispiel für Software, die Maschinen steuert oder Flugzeuge, dann ist dieser Aufwand gerechtfertigt. Und jetzt mit den Cryptocurrencies ergibt sich ein neues Anwendungsfeld, weil die Programme, wenn sie Fehler haben, sofort sehr große finanzielle Auswirkungen haben. Und die Leute sind sehr interessiert daran, diese Technologie einzusetzen. Deswegen ist das etwas, das ich mir überlege, genauer anzuschauen.
Vanessa: Ist es dafür auch einfacher, Fördergelder zu bekommen?
Prof. Zuleger: Ich habe gerade einen Projektantrag dazu geschrieben und hoffe, dass ich diese Fördergelder bekomme.
Vanessa: Ist es manchmal auch so ein bisschen ein Problem von diesen Trends, dass vielleicht die Geldgeber lieber in etwas investieren würden, was gerade im Trend ist, anstatt in das, was die Welt gerade am meisten braucht. Ist das ein Problem?
Prof. Zuleger: Ja. Also genau damit hat man zu kämpfen. Also die Geldgeber, vor allem für Grundlagenforschung, sind die Forschungsgesellschaften, also in Deutschland die DFG und in Österreich der FWF. Aber die sind natürlich auch davon beeinflusst, welche Themen gerade „in“ sind und welche nicht. Es kann helfen, einen Bezug zu aktuellen Trendthemen zu haben.
Vanessa: Dass man dann auch genug Geld bekommt, um ein Projekt zu Ende zu bringen?
Prof. Zuleger: Genau, das ist eben auch Marketing, was man da betreiben muss.
Frederik: Das heißt, ich muss einfach „Disruptive Deep Learning“ drauf schreiben, und dann krieg ich schon das Geld (lacht).
Prof. Zuleger: Genau. (lacht)